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Almut Höfert

Wunder und Monster im Mittelalter


ISBN: 978-3-906817-06-4
DOI: 10.13098/infoclio.ch-lb-0002

Abstract


Mittelalterliche Wunder sind heute wie damals höchst unterhaltsam. Sie eröffnen zudem bei genauerem Hinschauen den Blick auf vielfältige Aspekte der mittelalterlichen Geschichte: Wunderanalysen sind stets auch Gesellschaftsanalysen. In einer Welt, die sich von Gott erschaffen und geleitet sah, galten letztlich alle Wunder als göttliche Werke. Dabei wurde unterschieden, ob das göttliche Wunderwirken in einem direkten Zusammenhang mit menschlichem Handeln stand oder aber allgemein in der Natur zum Tragen kam. Insgesamt lassen sich in Europa zwei große Hauptgruppen mittelalterlicher Wunder unterscheiden. Als Mirakel galten vorrangig jene Wunder, die Gott direkt oder durch die Fürsprache der Heiligen bewirkte. Die Hunderttausende von Heiligenwundern, die uns überliefert sind, veränderten sich im Laufe des Mittelalters und hatten stets auch eine politische Funktion, da sie Dynastien, Bischöfe, Klöster und Städte mit religiöser Legitimität ausstatteten. Mirabilien waren hingegen Wunder der Natur, wie etwa ungewöhnliche und fabelhafte Wesen wie Drachen oder wundersame Völker: Menschen mit Hundsköpfen, Kopflose mit dem Gesicht auf der Brust, Hermaphroditen und andere. Diese Wundervölker wurden im Mittelalter als Monstren bezeichnet. Sie lebten weit entfernt in Afrika und Asien. Als Monstrum galt aber auch eine einzelne Wundergeburt, die den Zorn Gottes über menschliche Sünden „monstrierte“. Im 15. und 16. Jahrhundert stieg das Interesse an Wundergeburten, über die die frühen Drucke berichteten, sprunghaft an. Diese Monstren riefen Entsetzen, Verwunderung und Faszination hervor. Die Gelehrten diskutierten im Anschluss an die mittelalterlichen Debatten, welche Regelhaftigkeiten der Natur sich anhand dieser außergewöhnlichen Erscheinungen formulieren lassen. Im 19. und 20. Jahrhundert tauchte schließlich die Figur des Verbrechers als Monster auf und das Monster wurde eine beliebte Gestalt in Literatur und Film. Die Geschichte der Wunder und Monster ist also vielfach verflochten und zeigt, welche Ordnungen eine Gesellschaft für sich jeweils formulierte.